Unbezahlbare Gaspreise gefährden unsere Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln!

Es ist vielleicht nicht jedem bewusst, dass unsere Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln maßgeblich von Erdgas abhängig ist. Für die Landwirtschaft spielt es indirekt für die Produktion synthetischer Stickstoffdünger eine große Rolle. Der Vorteil solcher anorganischen Mineraldünger liegt im Vergleich zu organischen Düngern darin, dass sie die Pflanzen zum richtigen Zeitpunkt mit allen notwendigen Nährstoffen in der richtigen Menge versorgen können. Da sie verlustarm und gleichmäßig auf dem Feld ausgebracht werden können, kann eine Über- oder Unterdüngung gezielt vermieden werden[1]. Außerdem spielt Gas unter anderem auch eine entscheidende Rolle bei den verarbeitenden Unternehmen der Ernährungswirtschaft, um die es in diesem Beitrag aber nicht gehen soll.

Zum Hintergrund der explodierenden Gaspreise

Die seit Anfang vergangenen Jahres stark ansteigenden Gaspreise haben mehrere Gründe. Zum einen gab es eine stark steigende Nachfrage als die Wirtschaft nach den monatelangen Corona-Lockdowns weltweit wieder anzog. Vor allem die Gasnachfrage der asiatischen Industrie erwies sich dabei als starker Preistreiber. Dazu kamen in geringem Umfang kleinere Preisspitzen durch Spekulationen[2]. Zum anderen wirkte sich auch die deutsche „Energiewende“ äußerst negativ aus. Und zwar nicht nur über die neu eingeführte CO2-Bepreisung, sondern vor allem auch, weil durch die zunehmende Abschaltung von Kern- und Kohlekraftwerken verstärkt Gas verstromt werden musste[3].

Etwa 55% des Erdgas-Bedarfs der Bundesrepublik Deutschland stammt aus Russland. Die deutsche Industrie ist allein auf über ein Drittel dieser russischen Gaslieferungen angewiesen[4]. Die explodierenden Gaspreise waren schon vor Ausbruch des Ukrainekriegs, der dann noch zusätzlich Preissprünge von teilweise mehr als 60% an der Gasbörse auslöste, eine schwere Belastung für die deutsche Wirtschaft und die privaten Haushalte. Seit Mitte des Jahres verschärfte sich die Situation dann erneut, weil die Leistung der Gaspipeline „Nord Stream 1“ wegen notwendiger Wartungsarbeiten gedrosselt werden musste. Zwischenzeitlich musste der Gasdurchfluss durch die Pipeline in diesem Sommer sogar ganz gestoppt werden. Anschließend ging es zwar wieder mit gedrosselter Leistung weiter, bis der Betrieb dann Anfang September wieder komplett eingestellt werden musste[5]. Seitdem finden keine Gaslieferungen statt[6]. All dies hat den Gaspreis naturgemäß weiter steil nach oben getrieben. Dennoch verzichtete die Bundesregierung weiterhin auf eine Inbetriebnahme der Gaspipeline „Nord Stream 2“ als Alternative, was nicht unbedingt zu einer preislichen Entspannung beitrug. Inzwischen gibt es Lecks bei den beiden Gaspipelines Nord Stream 1 und 2, weshalb diese Optionen der Gaslieferung aktuell nicht mehr zur Verfügung stehen. Mutmaßlich handelte es sich hierbei sogar um Sabotage[7].

Auswirkungen der Gaspreise auf die Düngemittelproduktion

Erdgas ist für die Herstellung von Stickstoffdüngern vor allem als Rohstoff essentiell, weil der dafür benötigte Ammoniak daraus synthetisiert wird. Gas macht mehr als 90 Prozent der variablen Produktionskosten aus. So war der größte deutsche Ammoniak- und Harnstoffproduzent, die SKW Stickstoffwerke Piesteritz, beispielsweise wegen der bereits geschilderten extremen Gaspreisanstiege ab etwa September/Oktober vergangenen Jahres dazu gezwungen, seine Produktion stark zu drosseln, da es ihnen nicht möglich war die für sie wirtschaftlich notwendigen Preise bei den Düngemittelhändlern zu erzielen und nur mit Verlust produzieren konnten[8]. Den meisten anderen Düngemittelherstellern erging es ähnlich. Diese in der gesamten Branche gedrosselte Produktion führte zu einer Verknappung bei den verfügbaren Düngemitteln. Erschwerend kam für Europa hinzu, dass der extrem schwache Euro die in Dollar abgerechneten Düngerimporte zusätzlich verteuerte. Schon zu Beginn dieses Jahres hatten sich die Preise für stickstoffhaltige Düngemittel deshalb fast verdreifacht[9]. Inzwischen haben sie sich im Vergleich zum Vorjahr sogar mehr als verfünffacht, obwohl sie da schon vergleichsweise hoch waren[10].

Aufgrund der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit durch die im internationalen Vergleich etwa sechs- bis achtfach höheren Gaspreise war die SKW Piesteritz Ende August dann gezwungen, die Produktion vollständig zu stoppen. Das Hochfahren der Produktion hing zwischenzeitlich auch wegen der beabsichtigten Gasumlage der Bundesregierung in der Schwebe, die das Werk mit zusätzlichen Kosten von etwa 30 Millionen Euro belasten hätte. Von den Kostenexplosionen sind nicht nur die SKW Piesteritz betroffen. Nach Angaben des Branchenverbands Fertilizers Europe und des Marktforschers ICIS sind bereits mindestens 70% der europäischen Düngemittelproduktionskapazitäten abgeschaltet[11]. Die Preise für Düngemittel schnellen dementsprechend erneut in die Höhe und die Verfügbarkeit kann nicht länger gewährleistet werden. So ist es Düngemittelhändlern beispielsweise derzeit nicht möglich, einen Preis oder Liefertermin zu nennen[12]. Das ist besonders deshalb fatal, weil die Landwirte die Düngemittel insbesondere im Frühjahr 2023 binnen kürzester Zeit benötigen. Käme es hierbei zu Störungen, dann drohen im nächsten Jahr Ertragseinbußen von etwa 30 bis 40%[13]. Weitere Teuerungen bei Lebensmitteln wären dann dementsprechend vorprogrammiert.

Fazit

Die Folgen der seit vergangenem Jahr explodierenden Gaspreise wirken sich bereits spürbar auf den Absatz von Düngemitteln für die Landwirtschaft aus. So halbierten sich beispielsweise die im 2. Quartal dieses Jahres in Verkehr gebrachten Phosphat- und Kali-Dünger. Stickstoff-Dünger ging um knapp 19% zurück. Die Preise hatten sich im August im Vergleich zum Vorjahr bereits mehr als verdoppelt[14]. Zunehmend wird dadurch das Ausweichen auf Wirtschaftsdünger (z.B. Gülle, Mist) interessant, wobei die Menge begrenzt ist. So lassen sich – je nach Quelle – durch die deutsche Nutztierhaltung nur etwa 22 bis 31% des Stickstoffbedarfs decken[15][16]. Das Problem bleibt also bestehen: Düngemittel sind immer noch knapp und dementsprechend extrem teuer. Dadurch, dass die deutsche und europäische Düngerproduktion wegen der im internationalen Vergleich nach wie vor deutlich teureren Gaspreise stark gedrosselt ist oder stillliegt, dürfte sich diese Situation weiter verschärfen. Das bedeutet, dass Landwirte entweder zu extrem hohen Preisen kaufen müssen, wenn Düngemittel überhaupt verfügbar sind, oder den Einsatz stark reduzieren müssen, was sich allerdings auf die Erntemengen und -qualitäten auswirkt. In beiden Fällen müssen Landwirte, die schon heute kaum ihre Kosten decken können, weitere Einkommenseinbußen in Kauf nehmen.

Noch nicht erwähnt ist außerdem, dass bei einem länger anhaltenden Produktionsstopp der Düngerproduktion auch die dort erzeugten Nebenprodukte wie beispielsweise der Abgasreiniger AdBlue oder CO2 fehlen. Ohne AdBlue könnten beispielsweise LKWs nicht mehr fahren, wodurch ganze Lieferketten zusammenbrechen könnten. Davon betroffen wäre beispielsweise auch die Belieferung von Supermärkten mit Lebensmitteln. CO2 wird unter anderem für die Betäubung in Schlachthöfen und die Getränkeherstellung benötigt. Engpässen in diesen Bereichen wären ebenfalls fatal. Dies sind nur zwei Beispiele um zu verdeutlichen, dass ohne den Weiterbetrieb der heimischen Düngerproduktion der Zusammenbruch ganzer Wertschöpfungsketten in Deutschland droht. Dafür benötigt die Branche ausreichend Gas zu bezahlbaren bzw. international wettbewerbsfähigen Preisen. Die Lösung kann ja auch nicht darin liegen, künftig diese Stoffe und Düngemittel aus dem Ausland zu importieren, wo die Produktion nicht ansatzweise so umweltgerecht stattfindet wie bei uns. Ganz abgesehen davon, dass wir sicherlich nicht neue Importabhängigkeiten in solch systemrelevanten Bereichen brauchen.

P.S. Auf meine diesbezügliche Frage an den grünen Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir auf Twitter, ob er denn angesichts dieser Düngerknappheit immer noch der Meinung sei, dass die Versorgungssicherheit gewährleistet sei, wurde ich dort von ihm geblockt. Es mache sich jeder selber seinen Reim darauf, was das zu bedeuten hat 😉

 

 

 



[16] Kleine Anfrage an die Bundesregierung, 07.06.2022, „Düngemittelversorgung in Deutschland“, Bundestagsdrucksache 20/2193, https://dserver.bundestag.de/btd/20/021/2002193.pdf

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