Offener Brief an die ARD: Inhaltlich falsche Darstellungen bei "Wissen vor acht - Erde: Wie klimaschädlich ist unsere Milch?"
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit reichlicher Verwunderung habe
ich am 17. August dieses Jahres Ihre Sendung „Wissen vor acht – Erde“ mit dem
Thema „Wie klimaschädlich ist unsere Milch?“ zur Kenntnis genommen. Ich bin
eigentlich davon ausgegangen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk zur
Ausgewogenheit verpflichtet ist, um Meinungspluralität zu erzeugen. Laut
Rundfunkstaatsvertrag (RStV) ist insofern stets eine unabhängige, sachliche und
überparteiliche Berichterstattung geboten und die vermittelten Informationen
müssen aktuell, nachhaltig, abgesichert und glaubwürdig sein. Außerdem wird
dort betont, dass Nachrichten "vor ihrer Verbreitung mit der nach den
Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen" (§ 10)
sind[1].
Genau das fehlte mir jedoch stellenweise in Ihrem Beitrag, zumal Ihr Moderator,
Herr Dr. Eckart von Hirschhausen, den Eindruck vermittelt, es handele sich
durchweg um gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse. Im Folgenden gehe ich
auf meine Hauptkritik-Punkte ein:
1.
Futtermittelanbau
„Damit sie genug Milch produzieren
wird zugefüttert. Hauptsächlich mit Getreide, Mais und Raps. Fast 40% der in Deutschland
verfügbaren Ackerfläche werden verwendet, um Futter für Nutztiere anzubauen.
Meist in intensiven Monokulturen…“
Es wird fälschlicherweise der
Eindruck erweckt, dass auf den Ackerflächen, auf denen derzeit Futterpflanzen für
die Nutztierhaltung angebaut werden, problemlos auch Pflanzen für die
menschliche Ernährung angebaut werden könnten. Dabei wird verschwiegen, dass nur
ungefähr 4 Millionen Tonnen des in der Fütterung eingesetzten Weizens voll
doppelnutzungsfähig ist und sich auch uneingeschränkt zum Backen eignet. Das
entspricht lediglich etwa 6 Prozent des Gesamtfutteraufkommens in Deutschland.
Die meisten Ackerflächen sind klimatisch oder qualitativ gar nicht geeignet, um
dort Weizen anzubauen. Die Erzeugung von Futtergetreide ist deshalb eine
sinnvolle Möglichkeit, um diese Flächen zu nutzen. Dazu kommt, dass vielfältige
Fruchtfolgen ohne den Anbau von Futterpflanzen und Futtergetreide für die
Nutztierhaltung kaum denkbar sind. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass enge
Fruchtfolgen oder Monokulturen zwangsläufig zunehmen müssen, wenn der Anbau von
Futterpflanzen und Futtergetreide eingeschränkt oder ganz darauf verzichtet
wird. Außerdem sollte noch erwähnt werden, dass bei der Erzeugung von 1 kg
pflanzlicher Lebensmittel etwa 4 kg nicht essbare pflanzliche Biomasse anfallen.
Nutztiere können diese für uns nicht essbare pflanzliche Biomasse effizient
verwerten und in hochwertige tierische Lebensmittel wie Fleisch und Milch sowie
Wirtschaftsdünger umwandeln.
2.
Pflanzenschutzmittel
„…und gespritzt mit
Pestiziden.“
Was den Einsatz von chemischen
oder biologischen Pflanzenschutzmitteln betrifft, so werden diese in der
Landwirtschaft eingesetzt, um unerwünschte Organismen wie Schädlinge und
Unkräuter zu bekämpfen. Sie werden also eingesetzt, um die Kulturpflanzen zu
schützen und die Ernten zu sichern. Seit 1987 ist der sogenannte integrierte
Pflanzenschutz als Leitbild des modernen Pflanzenschutzes im deutschen
Pflanzenschutzgesetz verankert und gehört zur guten fachlichen Praxis bei der
Durchführung von Pflanzenschutzmaßnahmen. Der integrierte Pflanzenschutz ist
eine Kombination von Verfahren, bei denen unter vorrangiger Berücksichtigung
biologischer, biotechnischer, pflanzenzüchterischer sowie anbau- und kulturtechnischer
Maßnahmen die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel auf das notwendige Maß
beschränkt wird (§ 2 Nummer 2 des Pflanzenschutzgesetzes vom 6. Februar 2012).
Die Entscheidungsgrundlage für die Anwendung von Pflanzenschutzmaßnahmen
erfolgt dabei stets nach dem sogenannten Schadschwellenprinzip, d. h. es wird
erst bekämpft, wenn der zu erwartende wirtschaftliche Schaden voraussichtlich
höher als die Behandlungskosten ist. Dabei handeln Landwirte stets nach dem
Grundprinzip „So viel wie nötig und so wenig wie möglich“[2].
Darüber hinaus besteht für die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln eine gesetzliche
Pflicht zur Sachkunde. Jeder, der beruflich Pflanzenschutzmittel anwendet,
verkauft oder über sie berät, muss den bundeseinheitlichen
Pflanzenschutzsachkunde-Nachweis vor Aufnahme der jeweiligen Tätigkeit besitzen[3].
Sachkundige haben darüber hinaus die Pflicht, sich regelmäßig innerhalb von
Dreijahreszeiträumen auf einer anerkannten Fortbildung über die Entwicklung im
Pflanzenschutz fortzubilden[4].
Auf diese Weise wird das erforderliche hohe Fachwissen bei Landwirten
gewährleistet und dauerhaft sichergestellt. Was die Zulassung von
Pflanzenschutzmitteln betrifft, so ist diese durch strenge gesetzliche Vorgaben
geregelt. Zentrales Element für die Zulassung ist die Sicherheit für Mensch und
Umwelt. Es werden nur diejenigen Pflanzenschutzmittelwirkstoffe zugelassen, die
bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung keine schädlichen
Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen und Tier und auf das Grundwasser
haben und von denen keine unvertretbaren Auswirkungen auf den Naturhaushalt
ausgehen[5].
Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, dass der Einsatz von
Pflanzenschutzmitteln („gespritzt mit Pestiziden“) im Beitrag so gesondert
betont wird.
3.
Methan
„Im Kuhmagen entsteht bei der
Verdauung außerdem klimaschädliches Methan.“
Im Unterschied zu CO2, welches
mehrere tausend Jahre in der Atmosphäre verbleibt, ist Methan ein kurzlebiges
Klimagas. Es wird in der Atmosphäre innerhalb von etwa 10 Jahren zu CO2 und
Wasser abgebaut. Das so entstandene CO2 wird dann wiederum in den Pflanzen
gebunden, die den Kühen als Futter dienen. Vor allem Dauergrünland (Weide- und
Grünfutterflächen) mit seinem Kohlenstoffspeichervermögen von knapp 200 Tonnen
pro Hektar kann doppelt so viel CO2 speichern wie Ackerboden[6].
Biogenes Methan befindet sich also in einem geschlossenen Kreislauf, durch den kein
zusätzliches CO2 in der Atmosphäre angereichert wird. Die Zahl der gehaltenen
Nutztiere hat also keinen unmittelbaren Einfluss auf die Klimaerwärmung. Insbesondere
dann nicht, wenn die Tierbestände abnehmen, so wie es in Deutschland der Fall
ist.
4.
Gülle
„Kühe produzieren nicht nur
heiße Luft, sondern auch viel Gülle. Die bringen die Bauern auf ihren Feldern
aus. Bei der Zersetzung entsteht Lachgas. Das ist etwa dreihundertmal
klimaschädlicher als CO2. … Landet außerdem zu viel Gülle auf den Feldern,
sickert immer mehr davon ins Grundwasser. Die Folgen: Der Nitratgehalt steigt
an.“
In der Landwirtschaft entzieht
jeder Pflanzenwachstumsprozess dem Ackerboden Nährstoffe, die mit dem Erntegut
abtransportiert werden. Um zu verhindern, dass der Boden verarmt und das
Pflanzenwachstum dadurch nicht immer weiter gehemmt wird, müssen die entzogenen
Nährstoffe durch Düngung ersetzt werden. Landwirte setzen deshalb
Wirtschaftsdünger (Gülle, Mist oder Kompost), synthetisch hergestellten Mineraldünger
oder eine Kombination aus beidem ein. Damit sichern sie langfristig hohe
Erträge und erhalten die Bodenfruchtbarkeit und die Bodengesundheit. Die
Düngung erfolgt dabei stets bedarfsgerecht, d.h. es wird nur so viel
gedüngt, wie die Pflanzen auch wirklich benötigen[7].
Außerdem kann und darf allein aufgrund der gesetzlichen Vorgaben gar nicht zu
viel Gülle auf den Feldern ausgebracht werden. Wirtschaftsdünger enthält
wichtige Nährstoffe und ist eine Quelle organischer Substanz, die für eine gute
Bodenqualität unerlässlich ist. Wenn der Gehalt an organischer Substanz im
Boden erhöht wird, verbessert sich seine mikrobielle Aktivität, seine Struktur,
die Versorgung mit Stickstoff und das Wasserrückhaltevermögen[8].
Die effiziente Verwendung von Wirtschaftsdünger ist daher sehr zu empfehlen und
ganz ohne organischen Dünger würden die Erntemengen in Deutschland dramatisch
sinken. Die nach wie vor anhaltende Energieknappheit, in deren Folge auch die
Düngemittel knapp beziehungsweise extrem teuer geworden sind, zeigt deutlich,
wie wichtig Wirtschaftsdünger für unsere Versorgungssicherheit sind. Zu
bedenken ist dabei jedoch auch, dass wir derzeit nur etwa 31 Prozent des
Stickstoff-Bedarfs und rund 49 Prozent des Phosphor-Bedarfs unserer
Pflanzenproduktion mit Wirtschaftsdüngern aus der deutschen Nutztierhaltung decken
können[9].
5.
Nachhaltige Lebensmittelproduktion
„Statt also im großen Stil
erst Pflanzen an Tiere zu verfüttern, um dann Milch aus ihnen abzuzapfen,
könnten wir uns besser viel mehr direkt vom Acker ernähren. Mit leckerem Obst
und Gemüse.“
Wie bereits erwähnt, helfen
Nutztiere dabei Ressourcen zu nutzen, die nicht für die menschliche Ernährung
geeignet sind, wie beispielsweise Gras (Heu, Silage), Zwischenfrüchte der
landwirtschaftlichen Fruchtfolge, Nebenprodukte aus der Lebensmittelproduktion (z.B.
Rapsextraktionsschrot, Zuckerrübenschnitzel) sowie bei der Ernte anfallende
Koppelprodukte (z.B. Stroh). Allein deshalb ist die Nutztierhaltung unverzichtbar
für eine nachhaltige Lebensmittelerzeugung. Dazu kommt, wie ebenfalls bereits
ausgeführt, der wertvolle Wirtschaftsdünger. Die These, dass wir stattdessen
Obst und Gemüse auf den Ackerflächen anbauen sollten, ist dermaßen fernab von
den Lebensrealitäten in der Landwirtschaft, dass ich sie nicht weiter
kommentieren möchte.
6.
Nährstoffgehalt Milch/Pflanzliche
Substitute
„Und wem das Klima nicht Latte
ist, der nimmt seinen Kaffee mit pflanzlicher Milch. Die gibt es reichlich aus
Soja, Hafer oder Erbsen. Schmeckt lecker und schäumt auch.“
Es hat einen Grund, dass Milch und
Milchprodukte auch auf EU-Ebene einem Bezeichnungsschutz unterliegen (EU-Verordnung
1308/2013). Milch ist ein sehr wertvolles Lebensmittel, welches viele
Nährstoffe enthält, die für eine ausgewogene Ernährung wichtig sind. Aus ihr
können zahlreiche schmackhafte Milchprodukte wie Butter, Topfen, Rahm,
Buttermilch, Joghurt, Käse, Molke hergestellt werden. Bezogen auf den relativen
Nährstoffgehalt pro Liter ist außerdem mehr als fraglich, ob pflanzliche Alternativen
wirklich „klimafreundlicher“ sind als Milch sind[10].
Es sollte den Zuschauern daher nicht dieser Eindruck vermittelt werden.
Fazit
Wie ich zeigen konnte, enthält Ihr
Beitrag eine Reihe von inhaltlich falschen Darstellungen sowie einseitigen
Informationen. Auf das Argument mit den externen Kosten von Milch bin ich dabei
noch gar nicht eingegangen, weil das den Rahmen dieses offenen Briefes gesprengt
hätte. Ich gebe dazu jedoch zu bedenken, dass externen Kosten stets auch
externe Nutzen gegenüberstehen, die im Beitrag ebenfalls völlig unerwähnt
blieben. Abschließend bleibt bei mir ein bitterer Beigeschmack, dass die
Recherche für diesen kurzen Beitrag ausschließlich über die einschlägigen Umwelt-NGOs
erfolgte, die allein deshalb schon mit Vorsicht zu genießen sind, weil sie
eigene finanzielle Motive verfolgen. Die Zuschauer erwarten von einem öffentlich-rechtlichen
Rundfunksender zu Recht, dass alle Beiträge korrekt recherchiert werden und
sachlich und ausgewogen berichtet werden, damit sie sich eine fundierte Meinung
bilden können. Eine differenzierte Klarstellung zu den irreführenden Aussagen
in Ihrem Bericht wäre also das mindeste!
[1] https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/medienpolitik/237014/bildungsauftrag-und-informationspflicht-der-medien/
[6] https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-verstehen/wie-funktioniert-landwirtschaft-heute/wie-viel-co2-binden-landwirtschaftliche-boeden#:~:text=W%C3%A4hrend%20Ackerb%C3%B6den%20im%20Schnitt%20etwa,Tonnen%20Kohlenstoff%20pro%20Hektar%20enthalten.
[7] https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-verstehen/wie-arbeiten-foerster-und-pflanzenbauer/warum-duengt-der-bauer
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