Fressen Nutztiere uns das Essen weg?

Jede Krise birgt die Gefahr, dass sie von politischen Akteuren zur Umsetzung ihrer Forderungen instrumentalisiert wird. So auch jetzt die Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine auf die globalen Agrarmärkte. Die erneuten extremen Preissteigerungen bei Agrargütern und Energie werden die globale Ernährungskrise dramatisch verschärfen. Gegner der Nutztierhaltung nutzen die Eskalation des Konfliktes, um Stimmung zu machen. Ganz besonders hartnäckig hält  sich die Behauptung, dass Nutztiere uns das Essen wegessen würden. Statt Tierfutter, könnte auf den Ackerflächen auch Getreide, Bohnen und Gemüse für die menschliche Ernährung angebaut werden. Doch ist das wirklich so?

Historischer Exkurs

Das Deutsche Kaiserreich hatte es versäumt, vor Beginn des 1. Weltkrieges ausreichend Lebensmittelvorräte anzulegen. Zwar hatte das Reich doppelt so viele Ackerflächen wie die Bundesrepublik heute, der Selbstversorgungsgrad lag jedoch bei nur 80 Prozent. Als die britische Seeblockade die Nahrungsmittelimporte unterband und die Futtergerste aus Russland ausblieb, wurde der Mangel deutlich spürbar. Zehn bis 20 Prozent der Nährstoffe fehlten plötzlich. Deutsche Agrar- und Ernährungswissenschaftler berechneten, dass die Nährstofflücke geschlossen werden könne, wenn Kartoffeln und Getreide direkt verzehrt statt an Schweine oder Geflügel verfüttert werden würden. Also wurde die außerplanmäßige Schlachtung von 5 Millionen Schweinen angeordnet. Die Folge waren Wucherpreise für Fleisch auf dem Schwarzmarkt und Hunger. Denn weniger Nutztiere bedeutet auch weniger Wirtschaftsdünger und weniger landwirtschaftliche Erträge. 800.000 Deutsche verhungerten während des Krieges. Nicht umsonst heißt diese schmähliche Episode im Gedenken an die Urheber „Professorenschlachtung“[1][2].

Daten & Fakten zur Futtermittelproduktion in Deutschland

Schauen wir uns aber zunächst die nackten Zahlen an. In Deutschland werden auf etwa 61 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche Futtermittel für die Nutztierhaltung angebaut. Etwa die Hälfte davon ist Grünland (4,9 Mio. ha). Dazu zählen Wiesen, die zur Futtergewinnung gemäht werden, und Weiden, auf denen Tiere grasen. Beim Ackerfutterbau werden Futtergetreide (4 Mio. ha) oder Mais (1,2 Mio. ha) meist als Hauptfrucht angebaut. Sonstige Ackerfutterpflanzen wie Körnerleguminosen (196.000 ha) sowie kleinsamige Futterleguminosen (u. a. Klee, Kleegras und Luzerne) (306.000ha) werden meist als Zwischenfrüchte angebaut[3].

Die deutsche Nutztierhaltung hatte im Wirtschaftsjahr 2019/2020 insgesamt einen jährlichen Futterverbrauch von 192,2 Millionen Tonnen, was knapp 73 Millionen Tonnen Getreideeinheiten entspricht[4]. Etwa 183,3 Mio. Tonnen (95%) davon wurden im Inland erzeugt. Etwa die Hälfte dieser Futtermittel sind Futterfrüchte (12%) und Nebenerzeugnisse wie Gras (frisch, als Heu und Silage) (32%), Silomais (33%) und Zwischenfrüchte. Die andere Hälfte besteht aus Mischfutter, hofeigenem Getreide geringerer Qualität (z.B. Weizen ohne Backqualität) sowie zugekauften Einzelfuttermitteln. Letztere sind vor allem Nebenprodukte aus der Lebensmittelverarbeitung, die beispielsweise in Getreidemühlen, Ölmühlen, Zuckerfabriken, Molkereien oder Brauereien anfallen. Nur 4,6 Prozent des gesamten Futteraufkommens wird importiert. Dabei handelt es sich überwiegend um Futtermittel aus pflanzlichen Ölen und Fetten sowie Ölkuchen und Ölschrot aus Raps und Soja.

Warum importieren wir Soja?

Deutschland produziert derzeit zu wenig eiweißreiche Futtermittel, um die Nutztierbestände ernähren können. Bezogen auf die physiologische Wertigkeit der Futtermittel, wie zum Beispiel den Anteil an verdaulichem Eiweiß, haben Importfuttermittel erhebliche Bedeutung für die Nutztierhaltung in Deutschland. Rund 30 Prozent des Futteraufkommens an verdaulichem Eiweiß stammen aus importierten Futtermitteln. Dabei entfällt ein Anteil von etwa 44 Prozent – Tendenz rückläufig – unserer Nettoeinfuhren  von verdaulichem Eiweiß auf Sojabohnen und Sojaschrot[5]. Jährlich werden 3,92 Millionen Tonnen (2020) Sojabohnen nach Deutschland, hauptsächlich aus den USA (49%) und Brasilien (37%) importiert. Die Sojabohnen werden in Deutschland zu Öl verarbeitet, welches vor allem in der Lebensmittelindustrie (95%) und zum Teil zur Produktion von Biodiesel verwendet wird. Bei der Ölgewinnung fällt als Nebenprodukt Sojaextraktionsschrot an. Dieses  geht in die Mischfutterindustrie und wird als Tierfutter verwendet. Nur ein ganz kleiner Teil von etwa 2 Prozent wird als ganze Bohne dem Mischfutter zugesetzt[6].

Warum verwenden wir keine heimischen Eiweißfuttermittel?

Soja besitzt einen hohen Eiweißgehalt und eine besonders günstige Eiweißzusammensetzung, die den Bedarf der meisten Nutztiere optimal abdeckt. Insbesondere für die Mast von Geflügel und Schweinen ist es elementar  für die Eiweißversorgung. Das wärmeliebende Soja wird inzwischen auch in einigen Gunstlagen Süddeutschlands angebaut, allerdings reichen die erzeugten Mengen bei weitem nicht aus, um den Gesamtbedarf zu decken. Alternative Eiweißfuttermittel wie beispielsweise Rapsextraktionsschrot, Getreideschlempe oder Leguminosen wie Erbsen, Ackerbohnen und Lupinen haben sich bislang nicht durchsetzen können, weil sie eine viel geringere Proteinqualität wie Soja haben und im Vergleich meist teurer sind[7]. Bei Leguminosen kommen zusätzlich noch Anbau-, Ernte- und Lagerprobleme hinzu. Wollte man die Soja-Importe ersetzen, dann wären – je nach Kultur – Ackerflächen zwischen 3,5 und 7 Millionen Hektar nötig. Damit würden jedoch andere Ackerfrüchte auf diesen Flächen verdrängt werden, die dann importiert werden müssten.

Fressen Nutztiere uns die Nahrung weg?

Die auf den ersten Blick sympathisch klingende reine Kalorien-Rechnung hat auf den zweiten Blick einige elementare Schwachstellen. Tatsächlich hat eine rein pflanzliche Ernährung bezogen auf das Verhältnis von Kalorien und auch Eiweiß pro Hektar Ackerland die günstigere Bilanz. Für die Erzeugung von einem Kilogramm Fleisch müssen mehrere Kilogramm Futtermittel eingesetzt werden. Vergessen wird aber, dass der überwiegende Teil (rund 85%) der für Futterzwecke verwendeten Agrarrohstoffe nicht für die menschliche Ernährung nutzbar ist. So wären die großen Mengen an Abfallprodukten aus der Lebensmittelindustrie ohne Nutztierhaltung gar nicht verwertbar. Beispiele für solche Nebenprodukte sind Zuckerschnitzel und Melasse als Reste bei der Zuckerproduktion, Sojaextraktionsschrot bei der Herstellung von Soja-Speiseöl oder Soja-Biodiesel, Rapskuchen aus der Rapsölgewinnung, der Trester bei Obstsäften, die dunklen Nachmehle und Kleien bei der Weizenmehlerzeugung oder die Malzkeime und der Treber 1 aus der Bierherstellung. Auch Grünland (Wiesen und Weiden), bei der Ernte anfallende Koppelprodukte (z.B. Stroh) oder qualitativ mindere Getreideernten sind kaum anders nutzbar. Und ohne den Anbau von Zwischenfrüchte wie Klee, Gerste, Hafer, Luzerne, Ackerbohnen und Trockenerbsen wären viele Fruchtfolgen um einiges ärmer.

Kreislaufwirtschaft

Unterm Strich kann gesagt werden, dass pro Kilogramm pflanzlichem Lebensmittel für den menschlichen Verzehr etwa 4 Kilogramm nicht essbare pflanzliche Biomasse anfällt.  Diese enthält aber noch viele Nährstoffe (z.B. Stickstoff und Phosphor). Nutztiere können die für uns nicht essbare pflanzliche Biomasse effizient verwerten und in hochwertige tierische Lebensmittel wie Fleisch und Milch sowie Wirtschaftsdünger umwandeln. Letzterer liefert den Pflanzen wichtige Nährstoffe, die sie für ihr Wachstum brauchen. Würde man die nicht essbare pflanzliche Biomasse stattdessen in den Boden einarbeiten, wäre das nicht so effektiv, weil die Zersetzung im Boden deutlich langsamer erfolgt. Die Folge wären sinkende Ernteerträge oder ein größerer zusätzlicher Mineraldüngerbedarf. Nutztiere sind also essentieller Bestandteil der miteinander vernetzten Stoffströme einer effizienten Landwirtschaft. Diese Nährstoffkreisläufe sind wichtig für eine nachhaltige Lebensmittelerzeugung.

Fazit

Wie wir sehen konnten, sind Nutztiere keineswegs Nahrungskonkurrenten zum Menschen. Stattdessen helfe Nutztiere dabei, Ressourcen optimal zu nutzen und sind daher unverzichtbar für eine nachhaltige Lebensmittelerzeugung. Ohne sie wären große Teile der nicht essbaren Biomasse so gut wie nicht verwertbar. Jetzt könnte natürlich die Frage aufkommen, ob nicht wenigstens der Anbau von Futtergetreide zu Gunsten von qualitativ hochwertigem Getreide beendet werden könnte. Das ist in der Praxis aber gar nicht so einfach. Mal vom Grünland abgesehen, eignen sich gar nicht alle landwirtschaftlichen Standorte  für den Brotweizen- oder Gemüseanbau. Beispielsweise wegen schlechter Böden oder ungünstigen klimatischen Verhältnissen. Auch produktionseinschränkende gesetzliche Regulierungen wie die Düngeverordnung machen den Anbau von qualitativ hochwertigen Ackererzeugnissen (v.a. Backweizen und Raps) meist unmöglich. Außerdem würden ohne den Anbau von Futtermitteln für die Nutztierhaltung wichtige Glieder in der Fruchtfolge fehlen.

Und selbst wenn es gelänge auf den Flächen, die für Futtermittelanbau genutzt werden, teilweise Weizen und andere essbare Pflanzen anzubauen und wir auf diesen Flächen tatsächlich mehr Nahrung und Eiweiß für die menschliche Ernährung erzeugen könnten, dann würde dieser Effekt wieder dadurch zunichte gemacht, dass wir Grünland und nicht essbare pflanzliche Biomasse verschwenden würden. Selbst wenn also alle Menschen Veganer werden würden, hätten wir also nicht mehr Eiweiß zur Verfügung wie jetzt. Wenige Kilogramm Fleisch würden durch viele Kilogramm Pflanzen ersetzt werden. An der globalen Ernährungssituation ändert das nichts.

Es ist die Nutztierhaltung, die es ermöglicht, dass wir ungünstige landwirtschaftliche Flächen und Nebenprodukte der Lebensmittelherstellung nicht verschwenden müssen. Lassen Sie sich also nicht länger einreden, dass Nutztiere uns das Essen wegfressen!

 

 



[3] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), 2020, Landwirtschaft

verstehen – Fakten und Hintergründe. https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/Landwirtschaft-verstehen.pdf?__blob=publicationFile&v=19, S. 32f.

[4] eine Getreideeinheit ist eine statistische Größe und entspricht dem Futterwert von Gerste; die einzelnen Futtermittel werden darauf umgerechnet, um einen einheitlichen Bewertungsmaßstab abzubilden

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