Der EU Green Deal und die Lehren aus Sri Lanka
Die Inflationsrate in Deutschland ist im September auf 10 Prozent angestiegen. Das ist der höchste Stand seit Anfang der 1950er Jahre. Lebensmittel haben sich neben den Energiekosten inzwischen zu einem zweiten starken Inflationstreiber entwickelt. Die Preise für Lebensmittel sind im September 2022 im Vergleich zum Vorjahresmonat durchschnittlich um 18,7 Prozent gestiegen. Die Gründe für diese Teuerungen sind vor allem die explodierenden Energiekosten und in der Landwirtschaft die explodierenden Betriebsmittelkosten wie beispielsweise für Kraftstoff, Dünge- und Futtermittel. Ein Ende dieser Teuerungen ist leider noch lange nicht in Sicht. Trotzdem hält die EU-Kommission an den Maßnahmen ihres EU Green Deal fest, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden möchte. Für den Bereich Landwirtschaft sind in diesem Rahmen erhebliche Einschränkungen vorgesehen.
Doch bevor wir darauf näher eingehen,
lohnt ein kleiner Blick über den europäischen Tellerrand nach Sri Lanka. Aus
Mangel an Devisen hatte die Regierung des Inselstaats Sri Lanka im April 2021 den
Import und damit den Einsatz chemisch-synthetischer Dünge- und
Pflanzenschutzmittel verboten. Die Landwirtschaft wurde quasi über Nacht auf
100 Prozent ökologischen Landbau umgestellt. Die Folge war, dass die Ernten einbrachen
und die Lebensmittelpreise explodierten. Etwa ein Drittel der
landwirtschaftlichen Nutzfläche erbrachte 2021 keinen Ertrag. Die
Reisproduktion ging etwa um ein Viertel zurück. Erstmals war Sri Lanka
gezwungen sein wichtigstes Grundnahrungsmittel zu importieren. Dies und die
Tatsache, dass sich die meisten Haushalte die gewaltigen Preissteigerungen
nicht leisten konnten, veranlasste die Regierung die Verbote bereits im
November 2021 wieder aufzuheben. Das Bio-Experiment dauerte also gerade einmal
ein halbes Jahr. Ein Hauptproblem der Umstellung auf ökologischen Landbau war
vor allem, dass Sri Lanka gar nicht über genügend Fläche verfügt, um
synthetische Düngemittel vollständig durch Wirtschaftsdünger (Gülle, Mist) zu
ersetzen. Das Land hätte mindestens fünf bis achtmal mehr organische
Düngemittel benötigt, um die landwirtschaftliche Produktion aufrechterhalten zu
können[1].
Die Forderungen nach einer
Ökologisierung der Landwirtschaft werden auch hierzulande immer lauter. Den
einschlägigen Umwelt-NGOs kann die Extensivierung der Landwirtschaft gar nicht
schnell genug gehen. Am liebsten würden sie alle chemisch-synthetischen Dünge-
und Pflanzenschutzmittel sofort verbieten, die Nutztierbestände halbieren und
die Landwirtschaft vollständig auf Bio umstellen. Politischen Rückhalt für
diese Forderungen finden sie vor allem bei den Grünen, aber auch bei weiten
Teilen fast aller anderen Parteien. Auch der Ende 2019 vorgestellte „Green
Deal“ der EU-Kommission geht bei den konkreten Zielen für die Landwirtschaft in
diese Richtung. Bis zum Jahr 2030 soll ein Viertel aller landwirtschaftlichen
Flächen ökologisch bewirtschaftetet werden. Der Einsatz von Düngemitteln soll um
mindestens 20 Prozent und die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel um mindestens
50 Prozent reduziert werden[2].
Die Bundesregierung hat den ökologischen Landbau sogar zu ihrem Leitbild für
eine nachhaltige Landwirtschaft gemacht und beabsichtigt die ökologisch
bewirtschaftete landwirtschaftlichen Nutzfläche bis zum Jahr 2030 auf 30
Prozent auszuweiten[3].
Das größte Manko dieses Maßnahmenpakets
ist jedoch, dass für den Außenhandel keine parallelen Ziele festgelegt wurden.
Die EU hat einen Anteil am Welthandel von 15,3% nach China und den USA der drittgrößte
Lebensmittelimporteur der Welt. Dabei beruhen die Importe vor allem auf beträchtlichen
Einfuhren an Obst, Gemüse sowie an Futtermitteln, Ölsaaten und Ölsaatenprodukten.
Hinzu kommen umfangreiche Importe an Kaffee, Tee, Fleischwaren, Tabak und Kakao.
Mehr als zwei Drittel der EU-Agrarimporte und gut die Hälfte der
EU-Agrarexporte stammen aus Entwicklungs- und Schwellenländern mit weitaus
weniger strengen Umweltgesetzen[4].
Die EU-Handelsabkommen verlangen nicht, dass diese Importe nachhaltig produziert
werden. Ganz im Gegenteil werden die
in der EU eingeschränkten Anbaumethoden beim Import sogar ausdrücklich
zugelassen.
Wie alle bisher vorliegenden wissenschaftlichen
Folgenabschätzungen zu den Auswirkungen des Green Deal auf die Landwirtschaft zeigen,
würde die Produktion in allen landwirtschaftlichen Produktionszweigen um
durchschnittlich 10 und 20% zurückgehen. Bei einzelnen Kulturen drohen sogar
Produktionsrückgänge von bis zu 30%. Gleichzeitig führt die niedrigere
Produktion zu erheblichen Einkommensverlusten bei den Landwirten, starken Lebensmittelpreissteigerungen
sowie einer Zunahme der Agrarimporte aus Drittstaaten. Das bedeutet, dass dieses
von der EU beabsichtigte Maßnahmenpaket zwar die Ökosystemleistungen in der EU
steigern würde, dafür aber parallel die Umweltbelastungen im Ausland zunehmen. Wir
würden unsere Umweltbelastungen also lediglich exportieren und uns noch abhängiger
von Agrarimporten machen. Nicht einmal die prognostizierten
Treibhausgas-Einsparungen fallen positiv ins Gewicht, weil sie durch die
Erhöhung der landwirtschaftlichen Treibhausgas-Emissionen außerhalb der EU
sowie durch Landnutzungsänderungen innerhalb der EU vollständig neutralisiert
werden würden. Das Ganze ist also eigentlich nur vor dem Hintergrund des
Pariser Abkommens nachvollziehbar, welches vorsieht, dass die CO2-Bilanzierung
nur die Emissionen abdeckt, die innerhalb eines Nationalstaats anfallen und die
die, die in importierten Waren enthalten sind. Stellt sich nur die Frage, ob dieses
„Schönrechnen“ der eigenen CO2-Bilanzen wirklich eine höhere Abhängigkeit von Lebensmittelimporten,
niedrigere landwirtschaftliche Einkommen und höhere Lebensmittelpreise wert
sind.
Stattdessen wäre eine nachhaltige
Steigerung der heimischen landwirtschaftlichen Produktion deutlich zielführender
und stünde auch im Einklang mit den Belangen des Umwelt- und Artenschutzes. Wie
wissenschaftliche Studien belegen, wirkt sich ein größerer Flächenverbrauch
deutlich negativer auf die Artenvielfalt aus als eine intensive Landwirtschaft
auf weniger Fläche[5][6].
In der Optimierung der Flächenproduktivität der Landwirtschaft schlummern noch
viele Potentiale. Es wird davon ausgegangen, dass knapp die Hälfte der
derzeitigen weltweiten Anbaufläche ausreichen würde, um die gleichen Produktionsmengen
zu erzielen[7]. Je mehr
Agrarrohstoffe wir auf unseren landwirtschaftlichen Gunststandorten mit den bei
uns vorhandenen hocheffizienten Anbausystemen selber produzieren, desto weniger
müssen wir aus Drittstaaten importieren. Dadurch senken wir auch den Druck für
Landnutzungsänderungen, vor allem (Regen-)Waldrodungen, in diesen Ländern. Da
wir dennoch auch weiterhin auf Importe angewiesen sein werden, vor allem bei
gewissen Produkten wie Kaffee, Kakao o.ä., wäre es außerdem wichtig die Umweltstandards
dieser Importe an die der heimischen Produkte anzugleichen. Das könnte beispielsweise
mit einem klaren Zertifizierungs- und Kennzeichnungssystem erfolgen, welches dann
mit Zollkontrollen durchgesetzt wird[8].
Abschließend stelle ich fest,
dass durch die Umsetzung der Maßnahmen des Green Deal katastrophale
Auswirkungen auf die Landwirtschaft hätte: Sinkende landwirtschaftliche Produktivität,
enorme Einkommensverluste, zunehmende Importabhängigkeit sowie steigende
Lebensmittelpreise. Das klingt nicht nach einem besonders guten Deal. Zumal der
Umweltnutzen auch zweifelhaft ist, weil die negativen Umwelteffekte lediglich
ins Ausland verlagert werden. Die Ziele des Green Deal sind grundsätzlich
richtig, aber die Maßnahmen gehören meines Erachtens dringend auf den Prüfstand.
Gerade in der gegenwärtigen Energiekrise und bei der galoppierenden Inflation wäre
es unverantwortlich, wenn eine Umsetzung unverantwortlich.
Links zu den
Folgenabschätzungen:
https://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/199-farm-to-fork
https://grain-club.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Farm_to_fork_Studie_Executive_Summary_DE.pdf
https://www.wur.nl/en/news-wur/Show/Green-Deal-probably-leads-to-lower-agricultural-yields.html
[1] https://www.n-tv.de/politik/politik_kommentare/Sri-Lanka-und-der-Irrweg-einer-chemiefreien-Landwirtschaft-article23477584.html
[3] https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/05-oekolandbau-bekanntmachungen.html#:~:text=BMEL%20macht%20den%20%C3%B6kologischen%20Landbau%20zu%20seinem%20Leitbild%20f%C3%BCr%20eine%20nachhaltige%20Landwirtschaft,-Zwei%20neue%20Bekanntmachungen&text=Die%20neue%20Bundesregierung%20hat%20den,auf%2030%20Prozent%20ausgeweitet%20werden.
[4] https://www.bauernverband.de/situationsbericht-20/7-internationale-agrarentwicklung/72-agraraussenhandel
[5] Balmford, A., 2021, “Concentrating
vs. spreading our footprint: how to meet humanity's needs at least cost to
nature”. Journal of Zoology 315 (2), 79 – 109
[6] Tscharntke, T. & Grass,
I. & Wanger, T. & Westphal, C. & Batáry, P., 2021, “Beyond organic
farming – harnessing biodiversity-friendly landscapes”. Trends in Ecology &
Evolution 36 (10), 919 – 930
[7] https://moderner-landwirt.de/ludwig-maximilians-universitaet-muenchen-weltweit-koennte-die-landwirtschaftliche-anbauflaeche-fast-halbiert-werden/
[8] Fuchs, R. & Brown, C. &
Rounsevell, M., 2020, “Europe’s Green Deal offshores environmental damage to
other nations”. Nature, 2020; 586 (7831), https://media.nature.com/original/magazine-assets/d41586-020-02991-1/d41586-020-02991-1.pdf
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